Freitag, 4. September 2015

Schwellengötter

Es wundert mich, dass in der Debatte um Flüchtlinge, ihre angemessene Unterbringung  und die effiziente Bekämpfung eines aggressvien und terroristischen Ausländerhasses,
noch nicht an die  deutsche Vertreibung und das Nachkriegselend erinnert wird.

Meiner Ansicht nach gehört das Bild des deutschen Vertriebenen, das Kriegskinder- und das Kriegsenkeltrauma zu den prägenden Erfahrungen in Deutschland.
Zumindest erinnere ich das aus vergangenen Bildern  in meiner Kindheit in den siebziger Jahren und seit ich wieder in Deutschland bin, habe ich viel mit Kriegskindern und Kriegsenkelgeschichten zu tun - und es ist manchmal erstaunlich, wie schwer es den Menschen hier fällt,
über Nachkriegserinnernungen zu reden, sich an an Hunger zu erinnern und an alliierte Strafjustiz . zum Beispiel. Daran wie es ist, sich in Viehtränken zu waschen, auf fremde Felder zu gehen und nach Ähren zu suchen, Steckrüben.

Stille zwischendrin.
da gab es die schlagartig abgebrochenen Gespräche, manchmal, in sommerlichen Eisdielen, warum Polen nicht zu trauen, aus heiterem Himmel, eine völlig unzureichende Behauptung,
auf alternativen Flohmärkten ein stehengebliebnes Gesicht, das, eingefroren sagt, so ist das nämlich,
oder zwischendrin ein "Da haben wir noch hungern dürfen".

Und darauf Schweigen.

Stattdessen  wird in den Medien einhellig vom Pack gesprochen, vom Pöbel, die Verurteilungen reichen vom deutschen Moderatorenduo (sagt man so?) Entertainerdua (sagt man das ?) Joko und Klaas - die nebenbei gesagt, zu dem Besten gehören, was das deutschen Fernsehen an menschenwürdiger und humaner Inszenierung bietet -
aber auch Youtube Videos wie das im Spiegel, wo man sich über die Dummheit und den Illetttrisierungsgrad der deutschen Rassisten lustig macht.

Nun werde ich selbst seit Jahren von meinen unterbezahlten afrikanischen Schauspielern mitwirkenden Kulturschaffenden gerne Rassist und Rassistin genannt.
Es dient in der Regel dazu,  ein Projekt empfindlich zu stören und am Zustandekommen zu hindern.
Nun würde ich gerne die Empörung aus der Debatte nehmen:
Die Bezeichnung "Rassist"  ist DER Generalvorwurf,  der alles und jeden durcheinanderbringt.
Wieviele Franzosen, Juden , Afrikaner haben auf meine  unliebsamen Fragen mit dem Vorwurf "Boche" geantwortet oder "pervers".
Macht mich das zu jemandem, der Hass predigt und Mordaufrufe veröffentlicht?

Ich schäme mich nicht, wenn Joko und Klaas mich  Pöbel nennen. Dumm und Abschaum.
Ich schäme  mich nicht, wenn mich eine afrikanische Moderatorin oder eine Freiburger Frauenbewegte  rassistisch oder pervers oder zurückgeblieben nennen.
Es ermüdet mich, es deprimiert mich, aber dann  mache ich eben weiter mit meiner uninteressanten multikultirellen Kulturarbeit.
Auch wenn ich drauf warten muss, dass wirkliche Nazis mir das Haus anzünden.
Würde mich dann eine meiner afrikanischen Frauen aufnehmen ? Einer meiner salafistischen Mieter?
Das ist zu bezweifeln.  Das ist MEIN Risiko. Das ist das Risiko MEINER HIlfsleistung, ebenso wie die, dass ich mein Haus  in seiner offenen Konzeption nicht weiter finanziell tragen kann.
Den Raum, den mein Haus - oft unentgeltlich - anderen zur Verfügung stellt, und den ich mühsam bewahrt habe, weil er früher ein Freiraum war für ein homosexuelles Künstlerpaar und für dessen Erhalt ich  mit meinen persönlichen, wenigen Mitteln kämpfe - als einen Freiraum für Transvestiten und Perversionen aller Art, den kann ich weiterhin und in Zukunft  moralstrengen Muslimas und Muslimen zur Verfügung stellen.
Doch wenn es um angemessene Unterbringung geht stellt sich auch ganz schnell die Frage:
ab wann habe ich in meinem Haus einen Gebetsraum zur Verfügung zu stellen?

Und warum ist diese Frage rassistisch?
Eine tugendhafte Muslima, die nicht deutsch lernt, damit sie garnicht in die Versuchung kommt, sich ausser Haus zu bewegen, wird sich sicherlich darüber freuen, in einem Haus zu wohnen, indem sie auf Transvestiten und Nacktmodels treffen kann. Auf Kunstideen, die sich NOCH nicht durchgesetzt haben.

Ein Kunstprojekt, dass sich NOCHNICHT durchgesetzt hat, ist in gewisser Weise auch ein wackeliges Schiff. Dass es in Flammen aufgeht, dazu braucht es keine Rechtsradikale...  dazu braucht es bloss zündelnde  Künstler.

Kunst aber ist ein Grundwert meiner Kultur.
Was ist denn die deutsche Leitkultur, auf der ich beharren muss, deren Einhaltung ich einfordern sollte? Jakob Augstein schreibt davon, die Badische Zeitung, die ich inzwischen, leider, viel lesen muss, auch.
Doch was ich tu, gehört zu keiner Leitkultur. Jakob Augstein wird von mir in seinem Leben sicherlich nie etwas lesen. Wenn jemand bei Art Brut, bei Celan und Mandelstam das SEHEN lernen wollte, muss man schon das Verborgene lieben.

Doch wiederhole ich meine Farge nach dem Gebetsraum. Der angemessenen Unterbringung.
Dass Sammelunterkünfte und Sammelduschen unzumutbar sind, weiss ich auch.
Mir scheint, dass dies eine fast rechtliche Frage des Respekts und der kulturellen Umgangsregelung ist, eine Frage danach wie wir Freiräume für Religionsausübung und das Gespräch schaffen.

Was ist menschenwürdig und was nicht?
Für mich ist der Vorschlag, Asylantenkindern den Schulbesuch zu verweigern, nicht angemessen.

Aber hier rede ich über meine fragwürdige Idee von Kultur.
Die arabische Literatur, die sich  zb in meinem Haus befindet,  wurde bereits als "ketzerisch" abgestraft.
Der letzte Moslem, der auf ein Buch von Rumi oder Hafiz blicken musste, vermutlich beides, weil ich den Leuten Bücher immer im Plural hinhalte - sagte: Das könne er nicht lesen und darüber wolle er auch nicht diskutieren.. Sufis seien Ketzer. Auf Häresie….., dann verschloss ihm die Höflichkeit den Mund.
Der Syrer, der sich Ṣāʿid al‐Andalusī zur Beschäftigung bekam, konnte das Buch nicht verstehen  sizilianische Fragen einer logischen Neubestimmung im Mittelalter Andalusiens schienen ihm  ein lächerliches  Kopfzerbrechen. DAS brauchen wir nicht.

Wenn eine Chinesin einen Afrikaner schmutzig und rückständig nennt, darf ich sie dann in die Schranken weisen?
Oder den Afrikaner rauswerfen?
(Schon allein die summarischen Nationalattribute nerven mich. Man redet nicht über den Einzelfall nur über Volksgruppenkontingente. Nervig).
Aber es ist mein JOB, Therapie zu leisten. Mich für Verständigung einzusetzen und dafür zu sorgen, dass alle einander respektieren.
Für diesem moralinsauren Hausmeisterjob bin ich zur Zeit zu müde. Aber es geht wohl nicht anders.
ich werde meine Projekte beiseiteschieben müssen, die Suche nach den verschwundenen Kindern der Ro Joosten. Den Klassenkameraden und - kameradinnen der Anne Frank.
Trotzdem bin ich müde, weil sich niemand für meine Kultur interessiert. Martin Buber -
Alexander Neill - Ovid oder eben Annemarie Schimmel - interessiert das einen aus Nigeria wirklich?
Aber wie schon Augustinus schrieb: interessiert sich wirklich einer für einen römischen Gott der Schwelle? Brauchen  wir das? Schwellengötter für Türdielen?

Schwellen. Hemmschwellen abbauen.
Ich denke viel an den Sommer 1989. Seh mich noch im Garten sitzen, während mein Vater die Zeitung hochhält, mit all den Republikflüchtlingen, den Leuten, die nicht aufhören, aus ihrem ummauerten Land zu klettern, zu laufen, sich in Botschaften zu retten.. Mann, dachte ich damals im August '89, während ich mir eine Kippe drehte, fällt denen nix anderes ein?

Schweigen.
Man muss niemanden in ein Haus aufnehmen, dass nicht sicher ist, das keinen ausreichenden Schutz bietet, das voll Wasser läuft.
Aber Haus der Kunst, in dem man keine Stimmen mehr hört, keine menschlichen Sprachen, ist ein schwer erträgliches Haus.
Und bleibt immer noch eine Frage der Werte. Solidarische Werte sind erst dann welche - wenn über die Frage des Eigennutzes Hilfe geleistet wird. Aus dem Überfluss etwas zu geben, ist sehr einfach.
Hier kommt eine religiöse Konnotation der HILFE ins Spiel - und auch das hat mit Kultur zu tun.
 Im übrigen ist diese Frage nicht weithergeholt. Ich hatte das Problem bereits.  Von daher weiss ich, dass ich, wenn mein Haus zusammenbricht, KEINE Hilfe zu erwarten habe.

Ich verweise auf einen Artikel in der Faz von 2013.
Wir reden gleich über BULGARIEN und den Hilfssatz,  den syrische Flüchtlinge dort im jahr 2013 bekamen  und den welcher hilfsbedürftigen Bulgaren zustand.
Vergangenheit..
Der Schock einer syrischen Studentin, die mit einem Unterstützungsgeld auskommen musste, dass zwar über dem lag, welches bulgarische Minderbemittelte bekämen, aber nicht genug wäre.. Wer, so fragte sie,  zahle  ihr den Schaden, der durch ein abgebrochenes Studium entsteht?

Ich habe die ganze Zeit das Gefühl, dass ich hinschreiben muss: 800000 Tausend Flüchtlinge sind kein Problem.
Ich habe kein Problem damit.
Aber ich habe ein Problem damit, wenn mir ein Sprachwissenschaftler sagt, dass ich das Wort "Asylant" nicht mehr verwenden darf, weil es rassistisch sei.
Nein, ich halte an dem uralten Recht auf Asyl fest.
Soll ich mal von meinen Vorfahren, den Hugenotten reden? Von Berlin?

Ich kann ja schliesslich selbst woanders hin. Ob ich allerdings mein Kulturhaus  im Cameroun aufziehen kann, ist fraglich, da  mögen sie Homosexuelle nicht und meine Arbeiten zur kritischen Hinterfragung von Kultur und Religion werden vermutlich als Apologie eines Verbrechens gesehen - und dann werden sie mir aller Voraussicht nach das Haus anzünden.
Aber das ist ja auch wie gehabt.

Aber heisst das, dass ich daraus ableite, in Europa seien wir fortschrittlicher als andere?
Muss ich das behaupten, damit man mich respektiert?
Im Moment sieht es nicht danach aus.

Ein Artikel in der Badischen Zeitung erzählt von dem Votum des Gemeinderats in HINTERZARTEN.
Der Gemeinderat lehnte es vor kurzem ab, ein sehr cosy aussehendes Hotel als Flüchtlingswohnheim herzugeben. Es wundert mich, dass neben den brennenden Asylantenheimen die
ein Schwarzwaldidyllenhaus Thema ist.
Als bestünden hier rein symbolische Zusammenhänge. Mythen.
ich sehe schon: man sollte AIrnB beschlagnahmen….

Es wundert mich allerdings  auch, dass keiner von den Flüchtlingen aus dem Krieg im zerfallenden Jugoslawien erzählt.
Eine bosnische Bekannte sprach des öfteren davon, wieviele Menschen ihres Landes flüchten mussten und dabei mehrere Jahre in Deutschland zugebracht haben.
Wie schrecklich die Verheerungen des Krieges waren. Wie sehr die Kinder gelitten hatten. Und wie "gut"  das trotzdem der verheerenden Situation geklappt hat.
Wieviele wieder zurückgegangen sind.
Nein?  Ich weiss es nicht.

Ich habe es nicht mitbekommen, ich bin damals in ein anderes Land ausgewandert.