Dienstag, 16. Februar 2016

Romantische Selbstkritik unter Zuhilfenahme von Armand Gatti

Armand Gatti  hat den "Gesang vor zwei elektrischen Stühlen." in der deutschen Fassung mit einer Einführung versehen, in der er die Abwesenheit beschreibt, und hier bedeutet die Abwesenheit mehr als nur das Fehlen des Protagonisten, des Schauspiels selbst im Theater.

"Bühne und Saal. Zwei Räume, die einander faszinieren. Auf Elementen dieser Faszination beruht dieser Öffentliche Gesang.
Vor allem anderen handelt es sich um das Theaterstück über die lange Agonie (1920 -1927) der beiden italienischen Anarchisten Nicola Sacco und Bartoloemo Vanzetti und ihren Tod auf dem elektrischen Stuhl im Charleston Gefängnis zu Boston (Massachusetts).
Von diesem Stück sieht man jedoch - bis auf wenige Ausnahmen - die Schauspieler nicht und hört auch seinen Text nicht...."

Per analogiam..frage ich mich. Abschattungen.
Schliesslich beschäftige ich mich immer noch mit Familiengeschichte und suche nach den Wegen, ein historisches Ich zu beschreiben.
Das "Ich",  das sich erzählt und sich "dekonstruiert" - das nannte man mal so...vielleicht müsste man sagen "sich selbst desavouriert", sich verrät, sich der Lächerlichkeit preisgibt...
Ein "Ich" als Landschaft, vielleicht. Als "topos".

"My thoughts arise and fade in solitude"

Ein saturnisches Ich, vielleicht. Saturn, Chronos, der seine Kinder frisst.
Aber ein lyrisches 'Ich' ist nicht unbedingt ein dramatisches 'ICH'.
Ein 'Ich' - eine Figur, die sich eignet soziale Stigmata zu tragen und eventuell auch Hohlräume, Resonanzböden besitzt, in denen Vorwürfe, Beleidigungen, Beschuldigungen und Verurteilungen "herumschwirren" können wie Dantes verlorene Seelen.

"Mysterious thought that in this mortal frame
of things

Unter den wenigen Schriften zu Aby Warburg, habe ich eine kunsthistorische... Diskussion zwischen Warburg versus Wölfflin gefunden.Weißnichmehrwarum mir dieses Buch mal lesenswert erschien. Es beginnt mit einem absurden Vergleich, haben sich doch beide .....Kunsthistoriker nie getroffen

hier der Grübler, der alle Umstände und Voraussetzungen einer künstlichen Form erkunden
möchte; dort alsod er Augenmensch, der keine Dokumente und keine Bücher, also keine Bibliothek braucht; her der besessene….dort der Typus des erfolgreichen Lehrers und Professors, hier …der des legitimationsbedürftigen Privatgelehrten.“


Nun bestimmen beide  Perspektive  nicht - als soziale ausdrucksform? Noch ist Perspektive von einer  sozialen Utopie geprägt.
"Die Perspektive als symbolische Form" ist das Schlagwort.

Anarchistische Darstellungen der Geschichte. Erzählung, die von einem Beobachter zum nächsten springt.
Man beklagt heute im Feuilleton die zunehmende Anarchisierung. Die Aggressivität. Und die Brutalität der  Facebook-Mobber oder -Hater, mit deren radikaler Beendigungslogik der Mythos von der anarchistischen Mordgier gefüttert wird.
Nun interessieren mich Emotionen sofern sich Movens, Motivationen und Farben eines erzählenden Ichs sind.
Das omnisciente, allwissende, neutral-sachliche erzählende Ich und die allwissende Erzählhaltung soweit sie im deutschen Feuilletons vorgängig sind, interessieren mich wenig.
Es erinnert mich an Werbung. Und nicht an Aby Warburg.

Denn schliesslich suche ich hinter einer Familiengeschichte nach einer europäischen Dekonstruktion:
nach den Möglichkeiten, ein europäisches "Ich", das seinen Hegemonieanspruch aufgegeben hat.
Die Leitkultur - manchmal frage ich mich, ob die Leute, die soviel von Leitkultur reden, wissen, was sie da sagen.

Vielleicht betreibe ich ja eine  Autokritik…den Typus der Selbstdarstellung, Selbstabwertung, die sich schliesslich selbst vernichtet.
Selbstverriss
als negative Kunstform.

romantische Kunststrategien
Rousseausche Selbstdarstellung  confessiones

Dass negative Darstellungsformen ein eher weibliches Problem sind, eine Grunderfahrung weiblichen Schaffens 
hindert ja nicht, das es viele Frauen gibt, die Machtverhalten und rhetorische Dominanz für sich entdeckt haben.


Wahrnehmungen beschädigter Identität, Erving Goffmann schrieb mal drüber - es ist ein Buch, das meine Großmutter mal besaß, und auch hier findet eine bizarre Personalunion statt:
Knochenmarkspenden geliehener, vererbter Bücher.
Aber kann man wirklich sagen, dass man ein Buch, selbst wenn man es richtig verstanden hat, vererbt?
Und: Entstünde nicht das Drama der großen Anarchisten dahinter, unsichtbar.
Vernichtet in den Machtstrategien des neudeutschen Diskursverhaltens. Meist anglosaxoner Färbung, darf man abasichernichsosagen.

"There are indeed in Shelley's nature very striking opposites:
In several of his poems he is a presence felt, making claims on our attention and sympathy which we cannot accomodate, and which sometimes repel. We cannot tolerate the hysterical shriek"

„KANNST DU mal für 90 Minuten aufhören, dich selbst darzustellen! “
An der Bemerkung  interessant ist, daß selbst die Selbstdarstellung  in Cinemascope Format gedacht wird. 
90 Minuten Spielfilmlänge.