Dienstag, 20. Mai 2014

Ghostwriter, oder, wie es im Französischen mal hiess: nègre littéraire

Es mag vielleicht daran liegen, dass wir hier in Deutschland nur das PLAGIAT kennen:
Das Abschreiben.
Aber das kaum darüber geredet wird, wer wessen Ghostwriter ist. Wie es sie in anderen Ländern gibt. Allerdings können wir uns auch nur schwer vorstellen, dass ein deutscher Minister einen Gedichtband vorstellt, oder einen lyrischen Roman veröffentlicht - wenn ich mich auch zu entsinnen meine, dass Peer Steinbrück ein grösseres Faible für Spionageromane, und besonders für die Figur von Smiley, hat - was aber vielleicht gerade deswegen unserer Vorstellung eines lyrischen Ichs politischer Macher bloss komische Züge verleiht. Lächerliche.

Wie jemand, mt dem ich hin und wieder zu tun habe, neulich als BILD formulierte:
Ein Ghostwriter, der sein Leben lang im Redenschreiber FÜR ANDERE aufging - und nun versucht, im Alter, SEINEN eigenen Roman zu Papier zu bringen - und dabei nichts zu Wege bringt…Nur weisses Papier. Immer nur weisses Papier produziert…

Natürlich. Schliesslich wird hier der Redenschreiber, der zu guter Letzt in seinem Leben versucht, so könnte man unterstellen,  mit einem Sentiment der Rache, des Zukurzgekommenen versucht, zu seinem Recht (und welches auch?) - oder zu seinem Ureigensten zu kommen -

was aber  - für sich genommen - garnichts ist. Schon ausgesagt - wenn auch von andern, in anderen Worten…Kurz: NICHTS ausser einer konservativen Metapher der Umstände, die für eine glückhafte Umsetzung normativer Zwänge stehen. Eines Schreibens - dem irgendwo immer noch gilt: was wirklich ist, ist vernünftig. Oder: was die Macht und den Willen zur Existenz hat, ist vernünftig.

Und um die geht's. Die normativen Zwänge der Geltung.
Philomelas Song.

Und nichts kann geglückter sein in diesem Schreiben als dass alle Noten Anmerkungen Eingang gefunden haben in den schliesslich vollendeten Roman oder die gehaltene Rede, nichts muss und kann dem hinzugefügt werden.
Nur das, was in den Roman einfloss, das was in der Publikation zum Tragen kam, nur das ist und nur das gilt. Daher auch der Zwang zur Vollendung und die permanente Frage nach der letztendlichen MESSAGE.
Ich weiss nicht, ob diese Idee des weissen Papiers ein erdachter Albtraum für seine Figur des Ghostwriters war, schliesslich hätte er ihm ja auch andere Altersalbträume geben können (beispielsweise den an einer verfehlten Politik schuld zu sein ohne sich verantwortlich fühlen ZU DÜRFEN  - was in Deutschland sicherlich kein Albtraum ist) - oder ob es ein Albtraum dessen ist, der auf Ghostwriters zurückgreifen muss.. . wer weiss.

Oder wie mein Grossvater Wolfgang Ritzel in seinem Band "Die Vielheit der pädagogischen Theorien und die Einheit der Pädagogik" es nannte:
"Ein verstehbares Gebilde muss gegeben sein, d.h. ein solches, das aus Akten einer Person hergeleitet werden kann. negativ gewandt: Wenn es sich nicht in Handlungen - auch Mitteilungen theoretischer Natur stellen solche vor - äussert und bezeugt, ist kein Verstehen der Personen und keine Gemeinschaft mit ihr möglich. Daher gibt es eine Geschichte der Philosophie, der Wissenschaften, der Künste, der Religionen, insofern Denker und Forscher, Künstler und religiöse Naturen das Licht nicht unter den Scheffel stellen, das ihnen aufgegangen ist, sondern es unter die Menschen tragen; daher fehlt aber eine auch nur annähernd so vollständige und zuverlässige Geschichte jener weltflüchtigen und asketischen Bewegungen, deren Dasein in sich immer wandelnder Gestalt die Jahrtausende durchzieht, deren Vertreter es aber je und je verschmäht haben, ihre Erkenntnisse und Erleuchtungen zu bekunden. da sie es vorgezogen haben und vorziehen, zu entsagen und zu verstummen, liegen keine Zeugnisse von ihnen vor, deren Deutung eine Gemeinschaft mit ihnen herstellen könnte." S.37ff

Nun ist Wolfgang Ritzel als Bruno Bauch-Schüler, der seine Doktorarbeit 1937 bei Bauch über den Wandel der Kantstudien - und damit über den Neukantianismus abgelegt hat



natürlich auch mit dem Vortrag Bruno Bauchs "Vom Begriff der Nation. Ein Kapitel zur Geschichtsphilosophie" aus dem Jahre 1916, dem Begriff, wenn ich es so verkürzt sagen darf, der "natürlichen Abstammungsgemeinschaft als Grundlage völkischer Einheit" vertraut - und so ist anzunehmen, ebenso vertraut mit den heftigen Auseinandersetzungen und Angriffen (vornehmlich jüdischer Philosophen - und es beleidigt mich, das schon wieder hinschreiben zu müssen), die zu dem Rücktritt Bauchs 1916 von der Leitung der Kant-Studien führten.

Ich habe noch nicht  herausgefunden, ob die Freundschaft von Bruno Bauch zu Richard Hönigswald in diesem Zeitraum zerbrach, noch warum und in welcher Form sich die sogenannte München- Göttinger Phänomenologische Schule aufspalten konnte, dass daraus ein jüdischer Teil - mit Edith Stein, Jonas Cohn, Husserl, Hermann  Cohen - und ein völkischen Teil wie Bauch, H.Lipps   entstehen konnte …irgendwie ist die Formulierung schlecht, so kann man  rein wissenschaftlich eine philosophische Abspaltung nicht beschreiben - und es ist mir auch klar, dass ausser einem kleinen akademischen Kreis niemand mehr weiss, wer Richard Hönigswald war, oder Jonas  Cohn, Moritz Löwi oder gar Siegfried Marck.
Ich habe auch noch nicht rausgefunden, warum Jonas Cohn und Richard Hönigswald 1938 für mehrere Monate ins KZ mussten - bevor sie dann emigrieren konnten, durften, angeschlagen - oder wie Wolfgang Ritzel das formuliert:" in den USA wurde ihm (i.e. Hönigswald) ein erneutes akademisches Wirken ermöglicht".

Nun ist das Merkwürdige, dass die Promotionsarbeit des Wolfgang Ritzel zwar 1937/38 angenommen wurde, er sie aber 1952 noch einmal herausgebracht hat - und dass er sie Siegfried Mark zugeeignet hatte - der damit eigentlich in überhaupt keiner Verbindung stehen dürfte, war er doch schon Im Frühjahr 1933 gezwungen gewesen, übereilt Breslau und das Land Deutschland überhaupt zu verlassen, um einer Verhaftung zu entgehen, Dabei kam er wohl für einige Zeit in Freiburg unter. Bei Jonas Cohn. Bevor er dann nach Zürich ging.

Da gibt es natürlich keine Verbindung.
Hypothesen sind Tageträume - des literarischen Alltags und sicherlich nicht geeignet, den streng logischen Gang philosophischer Wirklichkeit und akademischer Notwendigkeit zu beschreiben.

Ausserdem war es, wenn ich U.Siegs Buch "Aufstieg und Niedergang des Marburger Neukantianismus" richtig verstanden habe, nach und mit Heideggers Erledigung des Neukantianismus, den öffentlich ausgetragenen Auseinandersetzungen mit Cassierer und den Gutachten zur Schädlichkeit der Lehrinhalte hinter vorgehaltener Hand durchaus guter Ton an deutschen Universitäten, ein allgemeines Neokantianer-Bashing zu veranstalten.

Mein Problem aber ist, wie ein Student, der 1933 Matura gemacht hat - und dann nach Breslau, Freiburg und Jena studieren ging, der ausgerechnet bei dem völkischen Vertreter des Neukantianismus, dem zur Wertephilosophie gewandelten Bruno Bauch eine Bresche für Hermann Cohen zu schlagen versucht, woher der überhaupt die Bücher hatte.
Wie Wolfgang Ritzel schriebt zu Moritz Löwi, der zwar mit summa cum laude promoviert hatte, "der aber "nicht eine Spur seines Wirkens" hinterlassen habe. Eine Spur hat sich doch erhalten in Gestalt von Löwis ' Grundbegriffen der Pädagogik' - einer der letzten Publikationen eines jüdischen Autors nach dem Winter 1932/33, damals freilich nicht beachtet. Doch habend sua fata Libelle! Der Verfasser dedizierte ein Exemplar dem Breslauer Neuscholastiker Ludwig Baur, und aus dessen Nachlass ist der Band mit der handschriftlichen Widmung und en Besitz der Universitäts-Bibliothek Münster gelangt, so dass H_G.Richter kürzlich das achte Kapitel - "Über Kunst und Kunstunterricht" - dem Vergessen entreissen konnte."

Was mich, neben dem Wort "Neuscholastiker" am meisten "ergötzt", sind die Worte "kürzlich" und "Nachlass".
Und während ich in dem Band "Philosophie und Pädagogik des 20.Jahrhunderts" weiterblättere, um nebenbei die Passagen zu überblättern, in denen er vom Spott spricht, den Hönigswald von seinem Katheder aus über Natorp und / oder Bruno Bauch ausgiesst - so klar wird das leider nicht in diesem zusammenhanglosen Überblättern, wer denn nun der so scharf Verspottete ist  -
frage ich mich, wie das mit  der negativen Rezeptionsästhetik ist…
der rekonstruierenden Wiedergabe aus dem Nachhinein, 1980 und 1937...

Da ich jedoch über keine akademische Formation noch Titel verfüge, sind bedauerlicher - und selbstverständlicherweise meinen Recherchen Grenzen gesetzt -
schliesslich gibt es nichts Schlimmeres, als ein Nichtphilosoph, der es wagt, über Philosophisches zu
forschen - und dabei kommt erschwerend hinzu, dass, wenn es auch fraglich ist, dass akademische universitäre Philosophie den Ansprüchen der reinen Philosophie genügen möge, doch die akademische Wissenschaft eifersüchtig darauf wacht, dass kein Unberufener über ihren Kleinkrieg und Rivalitäten urteilt. Geschweige denn Wissenschaftstheorie damit betreibt.
Dennoch meine ich, wäre es sinnvoll, sich noch ein bisschen auf die Suche nach diesem Ghostwriter zu begeben, der mir hilft, den Sprung von den verbrannten Büchern hin zu den zu Re-rekonstruierten
nachzuvollziehen.