Montag, 14. April 2014

Nachlassverwalter

Kürzlich bekam ich einen Nachlassverwalter in spe zu Gesicht -
etwas Oberstudiendirektoriales haftet solchen Wesen an, ein etwas beflissen untertäniges und doch eminent scharfzüngiges Wesen -
doch ist der dazugehörige Anlass, der Nachlass noch gar nicht fällig oder wie soll man sagen: zu verwalten.
Aber - und das ist das eigentlich Pikante an der Sache, für diesen Nachlass von gesamtgesellschaftlicher Bedeutung steht zu befürchten, dass er einem Trottel anvertraut wird, einem Taugenichts und literarischen Nichtskönner ersten Ranges.
Daher kann ich gut verstehen, wenn sich besser Geeignete für diesen Posten bereits frühzeitig in Stellung bringen.
Kurz: Die Sache verspricht heiter zu werden.

Da ich noch einmal dabei bin, über Nachlässe zu plaudern, Hinterlassenschaften, fällt mir natürlich ein Druckerzeugnis des Waisenhauses Halle ein: die posthum veröffentlichte Dissertation von Hermann Ritzel, der 1915 in Galizien gefallen, wenigstens auf diesem Wege zum Doktoren der Philosophie avanciert ist. Von dieser ebenso leicht lesbaren, wie schrägen Dissertation habe ich nur über Umwegen erfahren, nämlich über eine niederländische Anfrage eines Studenten der Dauberiana, die wiederum als Brief in einem als "Opus posthumem" deklarierten Pappordner meines Grossvaters Wolfgang Ritzel abgeheftet worden war. Zusammen mit anderen Merkwürdigenkeiten wie einem Aufsatz zu Hebels Rätseln.
Nun könnte ich meinem Grossvater übelnehmen, dass er mir von dieser skurrilen Arbeit, die Husserl gerade noch als "gediegen" bezeichnet hat, NICHTs erzählt hat, und sie auch nicht in jenem Pappordner zu finden ist.
Was solls..schliesslich hat Theunissen versucht, mich auf anderen Wegen wieder für Husserl zu interessieren…und die Philosophie liebt krumme Wege, wenn sie vielleicht auch nicht so sehr schätzt, wenn man ihr das Wasser abgräbt.

Und da beginnt es, für mich weniger amüsant zu werden. In meinem Projekt würde ich mich gerne über den Umweg der Philosophie dem Biografischen zuwenden und finde mich mit der Feststellung konfrontiert, dass alle meine Mit-und Zuarbeiter, Unterstützer und Neugierigseinenden, Interessierten aus der deutschen Theater- und Medienwelt keine Ahnung von meinen literarischen und ästhetischen Referenzpunkten haben.
Die NICHT in den Referenzrahmen deutsch- nationaler WERTE einzuräumen sind…nicht, jetzt werden sie wieder knurren und fragen, was diese blöde Polemik soll, und was der Scheiss mit diesem Südwestdeutschen Neukantianismus soll, von dem keiner was gehört hat - und niemand auch was wissen will.
Und warum ich die Geschichte nicht EINFACH erzählen kann, dass es die Massen interessiert..wozu Philosophie und Kunst...
wozu Boltanski, wozu Bruno Bauch….

Berufsverbot

Neulich gab einer, der im Vorstand eines namhaften Verlags sitzt, während eine Vortrages unumwunden zu, dass es in Deutschlands Medienlandschaft so etwas wie inoffizielle, aber höchst effiziente Berufsverbote gibt.
Auffallend war mir, die seit gut 25 Jahren hoffnungslos neutrale Beobachterin des Geschehens bin, mit
welch entrüstetem Unterton dies vorgetragen wurde und auf welch hämische Gleichgültigkeit seitens der Zuhörer die Bemerkung stiess. Offenbar waren die Zuhörer der Ansicht, dieses Los nicht zu teilen.

Montag, 7. April 2014

extremist

Die Angst, einem EXTREMISTEN eine Stimme zu geben, Platz zu schaffen für Hasspredigten, sich die Zensur auf den Plan zu holen, Raum zu geben  bösartigen  und verleumderischen Unterstellungen, dem Verdacht der Verzerrung und Karikatur sich naiv auszuliefern - all den Befürchtungen begegne ich zur Zeit häufig.
Wenn es sich um eine Atmosphäre handelt des Bürgerkriegs - so kann ich als Unwissende  gut verstehen,  dass es den Leuten  darum geht, mit aller Vorsicht Stellung zu beziehen, um Fronten nicht weiter zu verschärfen. Gräben tiefer zu graben.

Mein sehr polemischer Ansatz ist es jedoch, Menschen die Rolle ihrer Opponenten zu geben.
Überraschenderweise gelingt das sehr oft.
Einem christlichen, sehr konservativen Menschen neben einem homosexuellen spielen zu lassen und ihn dabei bitten, auf die Nöte der anderen Figur, die Schwierigkeiten eines anderen Menschen einzugehen, der sich mit einer fiktiven Rolle schwertut, oder andererseits einen arabischen Fundamentalisten bitten, arabische Poesie zu übersetzen, auch dort, wo sie einen häretischen Beigeschmack hat…und dabei zu erklären, was das Enorme des Gedanke sein könnte….
Das verstehe ich als meine Arbeit… Zwischen den Stühlen zu sitzen, keine Sprache richtig zu sprechen, aber die Bauarbeiter am Turm Babylons bitten, sich gemeinsam das Werkzeug anzuschauen, es zu studieren - und denen, die es nicht kennen, ein Bastardwort zu schaffen, ein Mischlingswort….
damit sie weiter an ihren steinernen Wasserspeiern und waschbetonfarbenen Dämonen herumwerken können.

Noch öfter aber höre ich, dass mir Kulturschaffende sagen, dass sie sich das nicht mehr antun wollen.
Was genau sie damit meinen, ist mir nicht ganz klar.
Sehr schnell geht es dann um Assimilation und SPRACHGENAUIGKEIT:
Dahinter steckt natürlich wieder der Ansatz, dass Kultur auf Sprache aufbaut - und dass ein kulturelles Werk - in einem der landesüblichen Fehlschlüsse zwangslogischerweise - auf sprachlich herkömmlichen und verständlichen Argumenten beruht.

Nix da. Sprache beruht auf Denken. Und Denken ist nicht nur Sprache und schon gar nicht nur geschriebenes Deutsch.
So wie im geschriebenen Deutsch der Witz nicht in dem liegt, was da geschrieben steht, sondern in dem was nicht dasteht. Und das wiederum kann vorformuliert werden.

Jaja. Aber ich zwinge die Leute, die für mich arbeiten, eben solange, die Sprache, die ich ihnen als Text gegeben habe, zu vergessen, bis sie anfangen, ihn zu denken. Denkend entwerfen.
Das interessiert mich.
Hat mit dem  deutschen Literaturbetrieb allerdings nicht viel zu tun.
Mit dem französischen auch nicht.
Schon das Wort "Mischling" geht garnicht in Deutschland.
"Metisse" sage ich dann, denn "Metisse" kann ich noch in Frankreich sagen, und mich zumindest hierzulande noch ein paar Minuten lang elegant aus der Affäre ziehen, denn dann schlucken erstmal alle und halten den Mund.
HYBRID sollte ich wohl besser sagen.
HYbrid.
Wenn ich also einen Afroamerikaner einen Brief aus dem wilhelminischen Deutschland lesen lasse, und er mit den grössten Schwierigkeiten den Windungen dieses gestelzten Denkens folgt -
lachen meine Zuhörer und sagen, wenn ich die Absurdität eines Kulturaustausches zwischen dem Wilhelminischen Deutschlands und der Afro-amerikanischen Kultur zeigen wolle, sei das genau richtig, aber ich müsse bedenken, das sich damit alle rassistischen Klischees mitbediene.
Mir war es um die Sekunde Zögern zu tun, da das Wort "ehrerbietigst" zu einem neuen Wort wird.
In meinem humanistischen Eifer, der das Zögern als Impuls ansieht - aber nicht als TAT.
Zögern und Unsicherheit ….nicht, in Deutschland, das ist eine kabarettistische Unart, aber kein Geisteszustand.

Jacques Roubard hat einen Gedichtband unter dem Titel veröffentlicht.
"La forme d'une ville change plus vite, hélas, que le coeur des humains"

und während ich noch über die Kopie des Zögerns nachdenke - und dann gleich drauf darüber, ob ich einem Syrer wirklich die Aufgabe zuteil werden lassen sollte, deutsche Philosophie der Nazizeit gedanklich umzusetzen -
fällt mir Dantes "De eloquentia" ein, in der er begründet, warum er, Dante, gerade seinen Dialekt zur Grundsprache seines Gedichtes macht. Und er zählt die italienischen Dialekte auf, macht sie fertig, einen nach dem anderen - und geht dann zum Körper auf, bis die Schrift  mit den Gesten des Zornes abbricht.
Der Zorn, schrieb er, geht nämlich zur Linken….

Stefane Hessel und der heitere Faschismus - so gesehen in Freiburg

Gestern Abend habe ich "Empört Euch" in Freiburg im Freiburger Konzerthaus gesehen.
Die Musik kam von Schostakowitsch -
und "Empört Euch" - wurde von eine rhythmischen Sportgymnastik in schöne Bilder einer bunt bewegten Menge, von schönen, muskulösen Paaren, von  Massenaufläufen und Führergestalten, in  turmhohen Akrobatiknummern, die in vereinzelt schwankende Individualität einbrachen, UMGESETZT:
eigentlich hätte ich mir vorher was denken müssen. Schliesslich liegen auf meinem Schreibtisch, Aufzeichnungen und DVDs vom LIVING Theatre,  von Bill T Jones, von Schleef und von Pollesch -
und ich erinnere mich, in Paris eine Videoarbeit über Stefane Hessens "Indignez-vous" gesehen zu haben, in dem man viele Gesichter, viele Individuen anzuschauen bekam und vermutlich hatte ich darauf gewartet, Individuen zu sehen, zerbrechende zerbröckelnde Einzelne, die sich empören können.

Nun ist Freiburg nicht Paris,
wird einem SOFORT einer der hiesigen Freiburger sagen, und sei er auch nur einer der hiesigen Architekten, die für eine der Stahl- und Glassünden verantwortlich sind, für die klein- und grossfenstrigen Shoppingarkaden und die vielen  ingeniös angebrachten - solartragenden Umformungen des Mittelalters.
Ausserdem siehts in den Pariser Vororten genauso aus, wird er hinzufügen.
Das Problemen der Sache  ist - für mich - dass Freiburg sich für die experimentelle Hauptstadt Deutschlands hält, die Hochburg des RESIST, des Widerstandes, der ökologischen NEUBESINNUNG, der Individualisten und Eigenbrötler, der Querdenker und Opponenten -
so dass ich schon alleine deswegen auf diese künstlerische IMPERTINENZ des "Indignez-vous" gespannt war, weil mich die Geste des RESIST interessiert.
Gerade weil ich dem Freiburger Film schon eine Weile zuschaue.
Sorry, ich bin manchmal von einer lupenhaften Dummheit.

Und sorry, ich bin ziemlich traurig aus dem Konzerthaus rausgetrippelt.
Manchmal sind Inszenierungen ja wie geschaffen dafür, dass sie dem Zuschauer die Augen öffnen über eine neue Ansichtsweise. Einen neuen, oder tieferliegend, einen alten versteckten Zusammenhang, an dem man als Einzelner garnicht gedacht hatte, vor aller Augen bringen.

Ich gebe gerne zu, dass ich nicht daran gedacht hatte, dass man Stefane Hessen in einer Geschichte des totalitären Massenaufbaus darstellen könnte, von dunklen Bildern des Aufmarsches bis hin zu sowjetischen Pirouetten, heiteren Massenmenschen des Maschinengottes -
schön und mystisch wie von Leni Riefenstahl gefilmt.
Bis hin zu den heiteren Spielen süsser kleiner Kinder (alle weiss) und alter Frauen, die in zerbrechlicher Grazie sowohl geordnet wie tumulthaft über die Bühne zogen.

Nun ist in Freiburg MASSE ein wichtiges THEATERKRITERIUM.
Fast möchte man meinen, Andreas GURSKY habe hier für Jahrzehnte hinaus MASSE als alleinig gültige Regiekonzept vorgeschrieben, gleichgültig ob es nun ein Planet der Frauen ist, oder ein Spiel der Zukunft. Masse trägt hier viel.
(Mir wird's da immer schlecht, aber auch das gehört ja zum Bild der Masse, die einzelnen kollabierenden Phänomene am Rande).
Und da sich Masse nur mit einer grossen Mobilisierung der Gemeinde, der Bürgerschaft herstellen lässt, so dass Bürger ausserhalb der Szene Bürgern in der Szene zuschauen, was, wie mir scheint, ein goetheanisches Frohlocken, ein Egmontsches, ein VOLKSBÜHNENHAFTES Verschmelzen von Politik und Poesie im SCHÖNEN..

Nicht….wahr?

Ich kann gut verstehen, dass in diesen Ovationen des Bürgerrauschs, dem donnernden füssetrampelnden Applaus dieser Masse zu der Masse oben -
eine einzelne Stimme, die es nicht schafft, sich Gehör zu schaffen, verächtlich ist.
Da ist kein Gefühl für Zukunft -
im Umdonnertwerden beschlich mich nur die Frage, ob all diese tosenden Lämmer in 50 Jahren andere Stimmen frenetisch beklatschen werden. Stimmen, die vorher nicht zu Gehör kamen.
Aus dem Grund macht es keinen Sinn auf Aussenseiter zu setzen wie Migranten, Zigeuner, abgesehen von der Tatsache, dass der sozialkritische Dokumentarismus auf deutschen Bühnen und in Freiburg ja massenhaft bedient wird.

Da gab es so einen Passus in der Biografie von Hessel, der mich mich beschäftigt.
Lassen wir das, graben wir es ein.
Indigne…Indignez-vous.
Da gab es diese Hinweise, auf "vorschnelles", Engagement, von hetzerischen Worten….
In all jenen strahlenden Gesichtern gestern Abend war keines, das aufreisserisch….

"Dass ihr nicht mal einer eine aufs Maul haut "-
dass ist mir als Regieansatz von Peter Stein in Erinnerung geblieben.
Nicht viel, werden Sie jetzt sagen, aber doch genug, finde ich,  um darin den KERN dramatischer Aktion erkennen zu lassen.
Ausserdem hat mit Peter Stein mal im Traum erklärt, was INDIREKTE REDE im Theater ist.
Nach dem Peter Stein meines Traumes gibt es gar kein indirekte Rede im Theater, deswegen muss ja auch Kleist adaptiert  und umgeschrieben werden, wenn man Rohmer bsp  bildhaft äh inszenieren will, aber so direkt wollte Peter Stein das nun nicht sagen in meinem Traum, das hat auch etwas mit der Höflichkeit des Abwesenden zu tun, aber er hat mir dafür die Bühne gezeigt, und die war leer.
Das, so sagte er, ist der Beginn direkter Rede. Dann liess er - immer in meinem Traum - den Vorhang schliessen. Und das, sagte er, das ist indirekte Rede.