Gestern Abend habe ich "Empört Euch" in Freiburg im Freiburger Konzerthaus gesehen.
Die Musik kam von Schostakowitsch -
und "Empört Euch" - wurde von eine rhythmischen Sportgymnastik in schöne Bilder einer bunt bewegten Menge, von schönen, muskulösen Paaren, von Massenaufläufen und Führergestalten, in turmhohen Akrobatiknummern, die in vereinzelt schwankende Individualität einbrachen, UMGESETZT:
eigentlich hätte ich mir vorher was denken müssen. Schliesslich liegen auf meinem Schreibtisch, Aufzeichnungen und DVDs vom LIVING Theatre, von Bill T Jones, von Schleef und von Pollesch -
und ich erinnere mich, in Paris eine Videoarbeit über Stefane Hessens "Indignez-vous" gesehen zu haben, in dem man viele Gesichter, viele Individuen anzuschauen bekam und vermutlich hatte ich darauf gewartet, Individuen zu sehen, zerbrechende zerbröckelnde Einzelne, die sich empören können.
Nun ist Freiburg nicht Paris,
wird einem SOFORT einer der hiesigen Freiburger sagen, und sei er auch nur einer der hiesigen Architekten, die für eine der Stahl- und Glassünden verantwortlich sind, für die klein- und grossfenstrigen Shoppingarkaden und die vielen ingeniös angebrachten - solartragenden Umformungen des Mittelalters.
Ausserdem siehts in den Pariser Vororten genauso aus, wird er hinzufügen.
Das Problemen der Sache ist - für mich - dass Freiburg sich für die experimentelle Hauptstadt Deutschlands hält, die Hochburg des RESIST, des Widerstandes, der ökologischen NEUBESINNUNG, der Individualisten und Eigenbrötler, der Querdenker und Opponenten -
so dass ich schon alleine deswegen auf diese künstlerische IMPERTINENZ des "Indignez-vous" gespannt war, weil mich die Geste des RESIST interessiert.
Gerade weil ich dem Freiburger Film schon eine Weile zuschaue.
Sorry, ich bin manchmal von einer lupenhaften Dummheit.
Und sorry, ich bin ziemlich traurig aus dem Konzerthaus rausgetrippelt.
Manchmal sind Inszenierungen ja wie geschaffen dafür, dass sie dem Zuschauer die Augen öffnen über eine neue Ansichtsweise. Einen neuen, oder tieferliegend, einen alten versteckten Zusammenhang, an dem man als Einzelner garnicht gedacht hatte, vor aller Augen bringen.
Ich gebe gerne zu, dass ich nicht daran gedacht hatte, dass man Stefane Hessen in einer Geschichte des totalitären Massenaufbaus darstellen könnte, von dunklen Bildern des Aufmarsches bis hin zu sowjetischen Pirouetten, heiteren Massenmenschen des Maschinengottes -
schön und mystisch wie von Leni Riefenstahl gefilmt.
Bis hin zu den heiteren Spielen süsser kleiner Kinder (alle weiss) und alter Frauen, die in zerbrechlicher Grazie sowohl geordnet wie tumulthaft über die Bühne zogen.
Nun ist in Freiburg MASSE ein wichtiges THEATERKRITERIUM.
Fast möchte man meinen, Andreas GURSKY habe hier für Jahrzehnte hinaus MASSE als alleinig gültige Regiekonzept vorgeschrieben, gleichgültig ob es nun ein Planet der Frauen ist, oder ein Spiel der Zukunft. Masse trägt hier viel.
(Mir wird's da immer schlecht, aber auch das gehört ja zum Bild der Masse, die einzelnen kollabierenden Phänomene am Rande).
Und da sich Masse nur mit einer grossen Mobilisierung der Gemeinde, der Bürgerschaft herstellen lässt, so dass Bürger ausserhalb der Szene Bürgern in der Szene zuschauen, was, wie mir scheint, ein goetheanisches Frohlocken, ein Egmontsches, ein VOLKSBÜHNENHAFTES Verschmelzen von Politik und Poesie im SCHÖNEN..
Nicht….wahr?
Ich kann gut verstehen, dass in diesen Ovationen des Bürgerrauschs, dem donnernden füssetrampelnden Applaus dieser Masse zu der Masse oben -
eine einzelne Stimme, die es nicht schafft, sich Gehör zu schaffen, verächtlich ist.
Da ist kein Gefühl für Zukunft -
im Umdonnertwerden beschlich mich nur die Frage, ob all diese tosenden Lämmer in 50 Jahren andere Stimmen frenetisch beklatschen werden. Stimmen, die vorher nicht zu Gehör kamen.
Aus dem Grund macht es keinen Sinn auf Aussenseiter zu setzen wie Migranten, Zigeuner, abgesehen von der Tatsache, dass der sozialkritische Dokumentarismus auf deutschen Bühnen und in Freiburg ja massenhaft bedient wird.
Da gab es so einen Passus in der Biografie von Hessel, der mich mich beschäftigt.
Lassen wir das, graben wir es ein.
Indigne…Indignez-vous.
Da gab es diese Hinweise, auf "vorschnelles", Engagement, von hetzerischen Worten….
In all jenen strahlenden Gesichtern gestern Abend war keines, das aufreisserisch….
"Dass ihr nicht mal einer eine aufs Maul haut "-
dass ist mir als Regieansatz von Peter Stein in Erinnerung geblieben.
Nicht viel, werden Sie jetzt sagen, aber doch genug, finde ich, um darin den KERN dramatischer Aktion erkennen zu lassen.
Ausserdem hat mit Peter Stein mal im Traum erklärt, was INDIREKTE REDE im Theater ist.
Nach dem Peter Stein meines Traumes gibt es gar kein indirekte Rede im Theater, deswegen muss ja auch Kleist adaptiert und umgeschrieben werden, wenn man Rohmer bsp bildhaft äh inszenieren will, aber so direkt wollte Peter Stein das nun nicht sagen in meinem Traum, das hat auch etwas mit der Höflichkeit des Abwesenden zu tun, aber er hat mir dafür die Bühne gezeigt, und die war leer.
Das, so sagte er, ist der Beginn direkter Rede. Dann liess er - immer in meinem Traum - den Vorhang schliessen. Und das, sagte er, das ist indirekte Rede.