Mittwoch, 16. März 2016

Der Fünfte Versuch, SON OF SAUL zu beschreiben.

Die Rede war von "Son of Saul", nicht mehr als ein Gesicht, zwei Worte, die mich letztes Jahr unschlüssig und im Streit mit meiner Tochter an einer Kinokasse zurückliess, zwischen dem Müll halbaufgegessener Popcorntüten, verschütteter Cafecrémes und ausnehmend wohlgewogenen Plazierern, die einen hinter cromblitzenden Absperrungen zu warten hiessen während dahinter in der geschäftigen Stille und drängelnden Besessenheit anderer Kinobesucher, die fürchteten, ihr megaticket für diesen Nachmittag könnte verfallen, die Zeit drängte.
Mein Tochter verschwand ... in - wahlweise
Expendables 14 oder" Fast and Furios 7einhalb".
Um nicht bockig die nächsten zwei Stunden an der grossflurigen Kinokasse stehen zubleiben, ging ich in "Son of Saul".

Dem visuellen Schock entsprach dann auch das so viel später einsetzende Geschrei der Filmkritiker.
Die Vorwürfe gegen den Film, ich sagte es ja schon reichen vom: Vorwurfsstein in "KZ-Kitsch"-Große , einem"Gewaltpornografie" - Klotz und einem "primitivsten" Widerstand - Gehabe, daherwerde ich gewzungen sein, auf andere Sprecher, Schreiber zurückzuverweisen.

"László Nemes' Spielfilm «Son of Saul» ist eine so singuläre wie beklemmende Darstellung ..." Nzz

Einer der Rezensenten, und hier müsste ich lügen, hätte ich den Namen parat, verwies vorab gleich in der chronologisch- historische Einordnung des Films  auf Lanzmann, dessen "Shoah" seit den achtziger Jahren zu den ...Meilensteinen:

"Das überraschendste an dem Auschwitz-Drama "Sauls Sohn" ist wohl, dass Claude Lanzmann dem Film seinen Segen gegeben hat."

Der Rezensent  vom SPIEGEL fährt fort:

"Lanzmann hat mit seinem rund zehnstündigen Werk "Shoah" von 1985 nicht nur die bislang umfassendste filmische Erkundung des Holocaust erbracht. Er formulierte gleichzeitig auch eine Art Bilderverbot bezüglichen der Toten der KZs. In seinem Film waren keine Leichen zu sehen, nur Aufnahmen der geräumten Lager."

"Lanzmann, der seinen Segen zu dem Filmprojekt des Lazlo Nemes gab -" so hiess es:
so als müsse in einer Art geschichtsdialektischen Materialismus ein Meilenstein auf den anderen verweisen, diesen vorwegnehmend und jenseits der eigenen Erwartung sein Ziel treffen -
in dem ein "Meisterwerk" der dokumentarischen Erkundung auf sein Gegenteil trifft,
These - Antithese - Synthese -
wobei anzunehmen und zu unterstellen ist, dass dieser kunstgeschichtlichen Betrachtung ein Zusammenhang innewohnt, der NOTWENDIG die These mit der später auftretenden Idee verbinden wird, so dass  Neues, der mit seinem Werk  so offensichtlich nicht dokumentarisch verfährt - und Landmann - eben  nicht  poetisch, nachschöpfend, metaphorisch restituierend - zum mindestens einen gemeinsamen Nenner haben.
Zumindest soweit meinem unsachgemässen Sprachgebrauch der Vergleich zweier ästhetischer Herangehensweisen an  Film  überhaupt und die Aufarbeitung erlaubt sind.

Nun könnte man ja erwarten, dass EGAL welche Verarbeitung einer so unmenschlichen Hölle wie Auschwitz mit filmischen Mittel  - so oder so den Vorwurf der Ästhetisierung aufsichziehen würde, und das eine Begnadigung von diesem Vorwurf werden durch "Segen" noch durch "Meisterwerk" noch durch einen - offenkundig nicht marxistisch orientierten -  geschichtlichen Materialismus abgedeckt werden können.
Einfach deswegen, weil eine ästhetische Verarbeitung eine ästhetische Verarbeitung ist,
Man sollte doch wenigstens logisch denken und konsequent.
Man KANN das Argument des Bilderverbots nicht mit  dem Hinweis auf ein "Meisterwerk" konterkarieren - parieren.


Dass eine geschichtliche Einordnung der antisemitischen Verfolgungen wichtig ist,
nicht nur um Geschichte zu verstehen, sondern auch um zu verstehen, wie sich die Mechanismen des Unrechts inszenieren  - und man könnte und man sollte hinzufügen, wie sich dieses Unrecht - das sich in grotesken Lebenssituationen, absurden Verdrehung für Mensch, Person und Charakter, Vorstellung denken äussert - in dem was wir heute Traumarisierungen nennen - auswirkt und abstellen lässt - dieses wird auch von en Rezensenten sicherlich nicht bestritten.

Darüber hinaus kann man auch eine kunstgeschichtliche  Betrachtung anstellen und sich fragen, wie es zu den besonderen Formen kam

und wie diese wiederum das Bewusstsein prägen

(hier fällt mir ein französischer Leserbriefkommentar zum algerischen Bürgerkrieg 1994 -1999 ein, der das Zeitungsbild einer weinenden Frau in den höchsten Tönen mit einem Bild von Géricault verglich - ich war so wütend, dass ich bis heute nicht vergessen hab: die Frau selber interessierte den Mann nicht, HIER hatte er SEINE französische Wahrheit und das wars dann.)

Kunstgeschichtliche Verarbeitung des Holocaust
kann man sicher anstellen - und es wird gewiss bereits den einen oder anderen Unikurs Seminararbeit über die „mediale Verarbeitung des NS-Verbrechen"
angefangen bei den Kamerateams der SS Truppen und der Verwendung von Agfa Color  und der kostenlosen Fotoapparate, die den Soldaten zur Verfügung gestellt wurden.

Sie werden sagen, ich mach ja das Gleiche und noch Schlimmeres - ich stelle es neben „Fast and Furios.“

Nun denke ich aber, dass eine so offensichtliche Unlogik wie der - den Hinweis auf ein Bilderverbot mit dem Hinweis auf ein Meisterwerk zu begründen -
einen andere gedanklichen Hintergrund hat. Und die interessieren mich

Denn man könnte sich doch auch fragen, warum
das dokumentarische Material als Anklage  der Film,  der ein „j’accuse“ par excellence ist
Film und Anklage Film und Dokumentation der Anklage
nicht auch als ein Film eben der Dokumentation verstanden wird, die Lanzmann eigentlich vorhatte.

Und wie Film und Anklage - sorry ein Vorwurf wie „Gewaltpornografie“ und „primitivster Widerstand“ beschäftigt sich ja bereits mit diesen Fragen ohne es explizit zu sagen. Es werden - ich mag dieses Wort - vehikuliert - dabei gibt es das im Deutschen nicht - untergründige Vorverurteilungen recht komplexer Art wie in dem „primitivst“ mitgeschleppt.


Denn sonst, denn dann wäre es  sinnvoll Landmanns Shoah neben einen Film zu m Prozess von Eichmann zu stellen, neben einem Film zu den Nürnberger Prozessen - oder beispielsweise neben die früheren Prozesse gegen Auschwitz Kapos, die von der britischen Militärbehörde Ende der 40er Jahre in Lüneburg abgehalten wurden.


Nun ist der Film von Claude Lanzmann, dessen "Shoah", der in den 80er Jahren herauskam auch ein Film, der sich nicht scheute, Abwesenheit zu zeigen.

Dessen Kargheit
in der Leere eines Schotterplatzes bestehen konnte.