Samstag, 24. August 2013

Die Gouvernanten und Gesellschaftsdamen der deutschen Provinz oder : aus dem 21.Jahrhundert zurück ins 19.

Ich habe auf Einladung eines befreundeten Ehepaares dieses Jahr meine Ferien mit diesen verbracht, vielmehr zu verbringen versucht und dabei mit Verwunderung festgestellt, dass es für die Freiburger Bourgeoisie wohl chic ist, mit einer Künstlerin befreundet zu sein, die ihre kleinen nichtkommerziellen künstlerischen Erfolge mit Transen, Schwulen, Nutten und Schwarzen feiert - so chic wie sich das eben in den kleinen Kulturnotizen der gängigen Lifestyle-Hochglanzmagazinen ausnimmt -
dss es aber in dieser Provinzbourgeoisie für diese andere Welt überhaupt kein Sensorium gibt, kein Gefühl, genauer: kein Fingerspitzengefühl, kein Takt, keine Wahrnehmung ....

Stattdessen dominieren Vorstellung über die Rolle der Frau und ihren sozialen Status, der wiederum  von der Ehe, dem Beruf ihres Mannes, und wenn sie keinen hat, zumindest vom dem Status ihres beruflichen - professionellen Könnens und der damit verbundenn Kaufkraft abhängt.
Dass in dieser Provinz eine starke Hierarchie unter Frauen herrscht,war mir schon früher aufgefallen: angefangen bei den verheirateten Frauen mit Kindern (Plural),  untergegliedert in die der Anzahl ihrer Kinder, übergehend zu den verheirateten kinderlosen Frauen, zu den alleinstehenden Müttern, ob erwerbstätig oder arbeitslos, bis hin, ganz unten, zu den gänzlich garnichts habenden ausländischen Studentinnen .... Was ausgelassen sei, sei nicht vergessen - bestimmt es doch meine Arbeit, doch wird es hier in der lokalen Wahrnehmung nicht berücksichtigt.

Dieses ist mir in Freiburg immer bewusst und sollte ich es in meinem exaltierten Überschwang manchmal vergessen, so rufen es mir die missachtenden fragenden Blicke, die so viel sagenden langen Pausen in den Augen meiner Freiburger Gesprächspartnerinnen zurück, die so oft nicht zu wissen scheinen, wie laut ihre Blicke von den Ressentiments reden, die sie hegen, von
der Geringschätzung und den Zweifeln...

Da wäre das Freiburger Ehepaar zu nennen, für das der Gedanke allein, die Frau möge ohne ihren Mann eine Tanzsstunde besuchen, bereits eine Gefahr für ihre Ehe darstellt,
die Mutter, die bei der Idee, ihre Tochter könnte Schauspielstunden nehmen, befürchtete, sie könnte in die erotische Massagen-Szene abrutschen -
kurz : Vorstellungen aus früheren Jahrhunderten als Schauspieler unmoralische, gottlose Menschen waren, einem auf Schritt und Tritt begegnen und jemand wie Nataly Ritzel nur eine groteske, deplazierte Erscheinung ist.



Aber nun befand ich mich eben in den Ferien, hatte gerade und eben wieder mal angefangen, Ovids Metamorphosen zu lesen, hatte den ersten Teil der Trilogie über Schillers "Kabale und Liebe" abgeschlossen - und war fest entschlossen, an den dalmatischen Ufern der Adria, unter Pinien und auf Kieselsteinen sitzend, über die Liebe nachzudenken,
die ein Sakrileg ist,
kein Sakrileg ist,
die etwas göttliches ist ..
und dabei wären mir doch beinahe nicht die Tränen, die salzigen gekommen, sondern, sehr orgiastisch, noch ein paar Ideen über die im sakralen Dienst arbeitenden Frauen von den die Christa Wolf noch was zu erzählen hatte -

Als man mir das Denken verbot. Geschichte ist sowas von langweilig, sagte man mir. Dicke fette Pommes essen, am Strand hat nun wirklich was geiles...
finde ich auch, und wenns mir nicht salzig genug ist, lecke ich mir die Finger ab -
aber ich mag es nicht, wenn man mir sagt, wann ich zu denken habe.

Und da ist es mir erst aufgefallen, dass es garnicht darum ging, einen anderen Menschen in seiner Andersheit kennenzulernen, oder seine anderen moralischen, sexuellen Vorlieben ernstzunehmen, sondern dass es nur drum ging, bürgerliche Vorstellung von MannFrau Zwei Kinder durchzuspielen und dass es meiner Rolle als allein stehender älterer Frau zukommt,  die Rolle der Gesellschaftsdame zu spielen, die den Ball des bürgerlichen Ehespiel mit und zurückzuspielen hat...

Ich denke schon seit geraumer Zeit, dass die bürgerliche Welt von MannFrauVerheiratet nicht sehr interessant ist, und es ist leider meine persönliche Meinung, dass es in der Beantwortung der homosexuellen Fragen nicht allein um steuerliche Gleichberechtigung geht, vielmehr denke ich, dass diese Imitation des Bürgerlichen Diskurses nicht nur positive Auswirkungen hat und dass das GROSSE GEFÄHRLICHE TRAURIGE von Liebe und SeX nicht allein in den bürokratischen Korridoren der Entschädigungsaufwanderstattung ein Ende findet ...

Und weil ich dieses nun schon seit geraumer Zeit finde, schaue ich mir diese bürgerlichen Spiele
der Interaktionsrituale, wie sie Erving Goffman benannt hat, und das ist jetzt schon eine Weile her, die Spielchen des double-bind und der darinliegenden Abgrenzung, die Sündenbockspiele und psychiatrieverdächtigen Praktiken, wie sie Laing oder die double-bind theory dargestellt haben, genauer an -
und manchmal breche ich aus der mir zugedachten Rolle der Gesellschaftlerin , der unbedeutenden Unterhalterin aus, und widme mich ganz meiner Rolle der Beobachterin, der Chronistin der bürgerlichen Rollenspiele.
Aber diese bürgerliche Welt scheint alle Rekonstruktionen und Einwände, die gegen sie aufgebracht wurden, einfach sang- und klanglos zu vergessen. Wattedicht. Und schaut betroffen seine Kinder an, die zu dick sind, oder zu genial...
Und ich fragte mich, ob es wirklich so spannend ist, weiterhin einer Rolle als Gesellschaftsdame oder Chronistin oder visceversa gerecht werden zu wollen für Leute, die einfach nur unhöflich sind.

Und in der Vorfreude auf unsere Transvestitenprogramme, Lesungen und Filme, die für den Herbst geplant sind, habe ich diesmal ENDLICH lautstark die Tür zugeschlagen.
Aber, so sagte die Freiburger Bourgeoisie mit besorgter Miene, die noch nie was von Familienspielen gehört haben will, Familientherapien nicht kennt und überhaupt .....aber die Nataly Ritzel, die landet bald in
der Psychiatrie.

Das mag wohl so sein.